Laut der Management- und Karriereberaterin Svenja Hofert ist die Entwicklung des Bereichs Karriere-Coaching stark von amerikanischen Einflüssen und Weltsichten geprägt. Dabei stellt sie besonders das humanistische Weltbild in den Vordergrund, welches geprägt ist von einem Fokus auf individuelle Stärken gegenüber einem behavioristischen Ansatz basierend auf erlernbaren Kompetenzen.
Deutschland hat Nachholbedarf
100 Jahre lang konnte sich keine eigenständige, kommerzielle Karriereberatung (oder heute -Coaching) entwickeln, da das Arbeitsamt das alleinige Monopol hierauf besaß.
Dagegen entwickelte sich eine private Beratung und Coaching in den USA bereits im Nachklang des ersten Weltkrieges. Dieser hatte nämlich mit der Neuvermittlung von Soldaten in eine zivile Beschäftigung eine massive Nachfrage im Bereich der beruflichen Beratung geschaffen. Diese traf nun zusammen mit der immer populärer werdenden humanistischen Auffassung, die Berufsentscheidung solle frei und persönlichkeitsorientiert sein. Beides zusammen führte zur Entwicklung des Career Counseling, welches sich zwischen Coaching und Psychotherapie bewege und sich als „firmenfinanzierte Fusion von Karriereberatung, Bewerbungsberatung, Coaching on the job und Personalvermittlung“ verstehe.
Hofert berichtet davon, dass noch kurz vor dem Jahrtausendwechsel „der nächste Job immer noch vor allem aufgrund einer positiven Gehaltsveränderung und klassischen Aufstiegs beurteilt“ wurde und humanistische Karriereansprüche wie Sinnstiftung und individuelle Lebensgestaltung erst danach langsam Fuß zu fassen begannen. Dazu kamen in den frühen 2000ern Erkenntnisse aus der positiven Psychologie, welche die Wichtigkeit von „beruflicher Zufriedenheit und Glück“ betonten.
Noch heute würden darum deutsche Bildungsinstitute und Unternehmen mehr Wert auf erlernbare Kompetenzen als auf individuelle und intrinsisch motivierte Stärken legen.
Ein Trend im Umbruch
Allgemein führt der Weg mehr und mehr weg von einem „so ist es richtig“ hin zu einem humanistischen Denken „ich bestimme meine Weltsicht und damit auch meine Möglichkeiten“.
Ab 2002 verzeichnet Hofert das Entstehen der ersten Coachingausbildungen in Deutschland, ab 2004 der ersten dazugehörigen Verbände und seit etwa 2013 die Entwicklung eines spezifischen Karriere-Coachings. Letzteres stehe dabei unter anderem unter dem Einfluss des „Work-Life-Planning“, welches versuche die wirklichen Stärken und Interessen des Individuum herauszuarbeiten und so die Karriereplanung in einen ganzheitlichen lebensplanerischen Gesamtkontext zu stellen.
Dies erklärt sie vor allem mit der Veränderung des deutschen Arbeitsmarktes, in der „Mosaikkarrieren“ und Freelancertum immer weiter zugenommen hätten und so ein immer größerer Bedarf zur Hilfestellung und Beratung bei Neuorientierung entstehe.
Ganzheitlichkeit im Karriere-Coaching
Ein Großteil der beruflich bedingten Coachinganlässe entfällt unserer Erfahrung nach auf die berufliche Neuorientierung. Diese kann nur zu einer ganzheitlichen Betrachtung führen. Denn: Wenn jemand seinen Job oder sogar Beruf grundsätzlich überdenken möchte, kann er den „Rest des Lebens“ auf keinen Fall ausklammern. Es geht um Existenz, um Familie, um Zusammenhänge.
Die zunehmende Komplexität unserer Arbeitswelt, unter anderem durch die Digitalisierung, zusammen mit der individualistisch ausgerichteten Lebens- und Karriereplanung scheinen eine ganzheitliche Beratung und Begleitung bei Karrierefragen notwendig zu machen. Auch eine mehrfache berufliche Neuorientierung verlangt eine stete Reorganisation des eigenen Alltags, vor allem der Familien- und Freizeitplanung. Alle Lebensbereiche wollen ernst genommen werden und verlangen nach Organisation und einem Platz in unserem Leben. Karriere-Coaching muss so in den größeren Lebenskontext neben der physischen und körperlichen Gesundheit und dem sozialen Leben (Beziehungen) eingebettet werden. Außerdem ist die Karriere immer noch maßgeblich für unsere finanziellen Ressourcen und die Berufswahl noch sehr oft von dieser Notwendigkeit bestimmt. Karriere-Coaching muss also nicht weniger leisten als individuelle Wünsche, Anforderungen von außen und existenzielle Notwendigkeiten zusammenzubringen.
Quelle: https://karriereblog.svenja-hofert.de/2017/12/wasistkarrierecoaching/ (aufgerufen am 22.03.2018).